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Hatto Georg Scheer

Schneiderjud
Interviewer:
Ruth Deutschmann
Kamera:
Benjamin Epp
Copyright Ort:
Innsbruck
Aufnahmedatum:
2000-03-03
Epoche:
1936
Transkription:
Der Hauseigentümer des Hauses, wo wir auf der Hauptstraße in Eisenstadt gewohnt haben, der war Jude, das war der „Schneiderjud´". Man hat ihn der „Schneiderjud´" genannt. Der hat ein Textilgeschäft im Haus gehabt. Und eines Tages sagt mein Vater: „Mein Gott na, hätt´ ich nur einen Papagei, dem würd´ ich einlernen (beibringen): ‚Saujud´, Saujud´!‘ (macht es vor) zu schreien. Den stell´ ich auf den Balkon und der Jud´ ärgert sich.." Also, kindisch, aber das war – muß ich noch dazu sagen – vor ´38, also bevor der Hitler gekommen ist. Mein Vater war x-mal kurz eingesperrt, weil die Eltern ja illegal gearbeitet haben. Wenn sie im Radio dann einmal das Horst Wessel-Lied oder das Deutschlandlied gespielt haben, dann hat mein Vater Fenster, Türen aufgerissen und das Radio so laut wie möglich aufgedreht, damit sich der „Saujud´" ärgert. Dann hab´ ich einmal gefragt, ob uns der etwas getan hat, dass sie ihn so hassen, und da hat der Vater gesagt: „Weißt (du) Bub, das ist so: Die Juden sind das Ungeziefer der Menschheit. Der hat uns nichts getan, aber jede Laus beißt irgend(wann)einmal, und wenn nicht uns, dann einen anderen. Und weißt (du), die Juden, die sind zu faul zum Arbeiten, die tun die Leute nur bescheißen und betrügen, aber richtig arbeiten können die gar nicht." Und es ist interessant, da kann ich mich noch erinnern, ich war neun oder zehn Jahre alt, da gab es ein Nazilied. Ich weiß nicht, ob man das in irgendeinem Archiv noch ausheben kann - Das hat ungefähr so gelautet: „Ho Ruck nach Palästina,.." Also, es war damals schon der Gedanke, daß man die Juden nach Palästina schickt. Dieser Staat ist irgendwo den Leuten doch vorgeschwebt, und da hat es geheißen: „Ho Ruck nach Palästina, und da reißen wir ihnen die Hax´n aus, dann kommen sie nimma (nimmer) rein." Und da hab´ ich in meiner kindlichen Neugier das gesagt: „Papa, gehst du a (auch) Hax´n ausreißen?" So war dieser Judenhass. Wenn man dann später drüber nachdenkt - entsetzlich. So mit Kaftan und Bejkeles sind ja die wenigsten von außen zu erkennen gewesen Man müsse nur „lauter Sechser malen", dann kann nur ein Jud´ (dabei herauskommen). Er habe eine Sechsernase, Sechserlocken, und (ich) weiß nicht, was sonst noch. Beim Kinn habe er auch irgendwas mit’m Sechser. Also, den Juden könne man an den Sechsern erkennen. Mein Vater war ein sehr guter Zeichner, und mein Bruder auch, mein zweiter Bruder, der Helge, der war ein begnadeter Karikaturenzeichner. Und der hat das können. Der hat so einen „Juden" hin gezeichnet, da hast sofort gesehen, aha, das is (ist) ein „Jud´"!